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Lucinda Devlin

Corporal Arenas
Corporal Arenas spricht spezifisch die Mythologie an, die die bei der Behandlung des Körpers genutzten Räume, Apparate und Technologie umgibt. Die Geräte wurden entworfen, um zu funktionieren, erscheinen dabei aber kühl, imponierend, dominierend. Diese Räume erzwingen Passivität, die uns Angst und Verwundbarkeit fühlen lässt.

C-Prints in den jeweiligen Maßen 74,4 x 74,4 cm (100 x 100 cm gerahmt) bzw. 50,5 x 50,5 cm (70,4 x 70,4 cm gerahmt)
 
Gross Anatomy Lab, University of California, Riverside, California, 1982
Colon Therapy Room, The Homestead Spa, Hot Springs, Virginia, 1989
Operating Room #8, Forrest General Hospital, Hattiesburg, Mississippi, 1998
Massage Room, Greenbrier Hotel, White Sulphur Springs, Virginia, 1989
Fin, Feather and Fur Museum #2, Lockport, Pasadena, PA, 1989
Susanne Regener
Orte ohne Menschen - Menschen ohne Orte

aus Ausst.-Kat., Darmstadt 2003

In der Mitte des Raumes steht eine gewaltige technische Konstruktion: Glänzende Behälter, Schläuche, Hähne und eine Waage versperren den Blick auf eine tischähnliche glatte Fläche. Nur Apparate, kein menschliches Wesen. Die Perspektive allerdings scheint uns Zuschauer mitten hinein zu ziehen. Der Ort enthält Bekanntes: links eine Küchenzeile mit Unter- und Oberschrank und Spülbecken, rechts Schränke, einen Mülleimer mit Schwingdeckel, eine mit Stoff bezogene Sitzbank, eine Holztür. Und dennoch ist uns der Ort fremd, irgendetwas lässt nicht an das Naheliegende glauben, an eine Küche. Allein die Legende „Morgue General Hospital“ weist darauf hin, dass hier Obduktionen an toten Körpern stattfinden. Ein medizinisch-pathologischer Spezialraum ist das also, das Licht ist kalt und gleichmäßig, alle Flächen blank.

Freundlicher wirkt dagegen jener Raum, in dem ein voluminöses Bett steht, das mit verschiedenen Stoffen bedeckt ist. Die Wand ist in ein warmes Hellblau getaucht, durch das mit weißem Tuch verhangene Fenster fällt unregelmäßig Licht auf die Szenerie. Wieder ist es der Ausschnitt des Fotos, der uns Betrachter hineinzieht in den Raum, direkt vor das Bett, ein Massage-Raum. Auch dieses Foto zeigt keinen Menschen, doch obwohl, oder genauer weil Menschen abwesend sind, spielen sie in diesen Bildern eine Rolle. Die Darstellung des Abwesenden ist immateriell Bestandteil des Bildes.

Corporal Arenas – so hat Lucinda Devlin ihre Fotoserie benannt – Arenen, Bühnen des Körpers, so ließe sich der Titel übersetzen. In der Bezeichnung steckt nicht nur der Verweis auf den im Bild abwesenden Körper, das Objekt der Arena. Zugleich spielt Corporal Arenas mit einer imaginären Performance: die Beschau, das treatment, die Unterwerfung unter die Apparatur. In der Fotografie von dem hospitaleigenen Security Office, liegt die Synthese: Die Arenen sind zentral einsehbar, sie werden mit Kameras überwacht. Corporal Arenas, das sind Orte, in denen Menschen der genauen Beobachtung ausgesetzt sind. Man kann sich vorstellen, was in den von Apparaten besetzten Räumen vorgeht: Körper werden eingeölt, massiert und betastet, mit Wasser traktiert, Körper werden untersucht, mit Röntgen-Strahlen durchleuchtet, an Körpern wird operiert und obduziert. Wir sehen in Behandlungsräume von Kur-Bädern, blicken in Untersuchungs- und Operationssäle von Krankenhäusern und Forschungsräume von pathologischen Abteilungen und in Anatomie-Labore. Ist es nicht so, dass wir gerne diese Orte meiden würden, durch die wir jetzt mittels der Fotografie hineingezogen werden? Denn diese Räume erinnern an Gebrechlichkeit, Krankheit und Tod.

Was Devlin vornimmt, ist eine Deanimation, sie entfernt den Menschen von diesem Ort, wie sie es dann wieder bei der Serie The Omega Suites getan hat. Auch diese Räume in amerikanischen Gefängnissen, die der Hinrichtungsprozedur vorbehalten sind, wurden ebenfalls ohne die Protagonisten fotografiert. Eine Performance, wie sie die Tötung eines Delinquenten oder im vorliegenden Fall zum Beispiel das medizinische Ritual einer Obduktion abgeben würde, findet nur in unserer Phantasie statt. Aber gerade deshalb werden wir mit Devlins Bildern so eindringlich und penetrant darauf gestoßen: was es heißen könnte, eine Medizinal-Behandlung durchzustehen oder auf dem Operationstisch zu liegen. Besonders die Eingriffe am Leib nach dem Tod sind uns unheimlich – Blicke in die Pathologie, die Leichenkosmetik und Räume von Beerdigungsinstituten sind ganz und gar nicht üblich in unserer Bilderwelt. Aber auch dort sind Körper Teil einer rituellen Performance.

Die (Menschen-)Leere in Devlins Fotografien ist von besonderer Art, denn trotz Deanimation bleibt eine Spur vom Menschen und seiner Behandlung an diesem Ort. Das klingt nach Metaphysik, hat aber etwas mit der Phänomenologie der Wahrnehmung zu tun. Wir haben es in einem doppelten Sinne mit einem abwesenden Gegenstand zu tun: Bei der Bildbetrachtung schauen wir normalerweise nicht den anwesenden, materiellen Gegenstand, das Fotopapier, an, sondern betrachten den abwesenden Gegenstand, das Bildobjekt. [2] Die Beschreibung des Dargestellten im Kontext unserer Erfahrungswelt kann darüber hinaus zu neuen Aspekten über das Dargestellte führen. Devlins Orte sind zwar ohne Menschen, doch die Leere, die uns begegnet, verbirgt nicht etwas, sondern öffnet uns geradezu die Augen für das Abwesende. Wir übertragen Bilder von Körperbehandlungen, von Operationen, vom Anatomie-Unterricht, die wir aus anderen medialen Zusammenhängen kennen, auf die Corporal Arenas. Auf diese Weise wird das Bild wieder animiert. Devlins Bilder machen deutlich, dass der Mensch nicht mehr Akteur in diesen Räumen ist, sondern sein Körper von medizinischer Wissenschaft und Technik beherrscht, eingespannt, be- und durchleuchtet und operativ verändert wird. Die Corporal Arenas erzählen von der Kontrolle, denen Körper heutzutage unterworfen sind: Jede/r in unserer Kultur ist schließlich dazu angehalten, sich behandeln, heilen und pflegen zu lassen, wenn sie/er krank ist. Die Bearbeitungen des Körpers dauern so lange an, bis man im Sarg liegt. Devlin verweist mit den deanimated spaces auf den Anschluss des Menschen an die Apparatur und die Ähnlichkeit von Räumen der Lebensverlängerung und Lebensrettung mit den Räumen der Totenbehandlung. Die Arenen differieren im Detail: je dringender die Behandlung ist, desto kühler wirkt der Ort. In der, für die mechanische Stimulation gedachten Dusche des Kurbades kann der Kranke noch selbst stehen, in der Horizontalen wird er mehr und mehr bearbeitet: Der Massageraum mit seiner warmen Stofflichkeit ist klar vom grell ausgeleuchteten Operationstisch unterschieden; im Anatomie-Labor schließlich dominieren die schwenkbaren Leuchter, die Atmosphäre ist kalt und aseptisch. Erst der tote Körper, nachdem er aufgeschnitten und wieder zusammengenäht und das Gesicht von Totenflecken befreit wurde, wird in einem, mit Tüchern und Kissen versehenen Sarg gebettet, zum letzten Mal.