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Laura Letinsky

Fotografien von Laura Letinsky
Stillleben
Laura Letinsky begann 1997 in Berlin mit ihrer 4 x 5” Kamera, Reste von Mahlzeiten aufzunehmen, die u.a. aus schmutzigem Geschirr, leeren Verpackungen oder Obstschalen bestehen konnten. Letinsky entwickelte in ihren Stillleben seitdem eine eigene Bildästhetik, die von einer malerischen Qualität getragen wird und in der eine besondere Ruhe und Schönheit zum Ausdruck kommt. Sanfte Farbverläufe, die subtile Lichtverhältnisse widerspiegeln, werden kontrastiert von plastisch hervortretenden Gegenständen, die sich deutlich von ihrer Umgebung abgrenzen und ein Eigenleben zu führen scheinen. Nicht zuletzt stellen diese Stillleben ein zeitgenössisches Verhältnis zur Dinglichkeit dar, bei der die Symbolik der Objekte keine vordergründige Rolle mehr spielt, wie es aus der Tradition der holländischen und flämischen Stilllebenmalerei des 16. Jahrhundert bekannt ist, an die Letinskys Fotografien formal angelehnt sind.

Die Anordnung der Objekte, die die Künstlerin offensichtlich inszeniert hat, sowie die Verschleierung räumlicher Anhaltspunkte fordern unsere Wahrnehmung ständig aufs Neue heraus. Letinsky sorgt immer wieder für Irritationen, indem sie sich die Gesetze der Perspektive zu nutze macht. Häufig wirken die Tische wie Landschaften, die ins Unendliche führen, oder sie vermitteln einen eher flächigen bzw. zweidimensionalen Eindruck, wobei die Gegenstände herab zu gleiten drohen. Manche Arbeiten negieren sogar nahezu jeglichen räumlichen Bezug, die Objekte scheinen hier im schwer bestimmbaren Raum zu schweben. Die mit Bedacht ausgewählten und arrangierten Gegenstände heben sich wie Kostbarkeiten vor nahezu monochromen Grund ab. Andere verschwinden fast aufgrund ihrer hellen bzw. neutralen Farbigkeit und fordern somit unsere Sensitivität heraus, sie innerhalb des Bildes auszumachen. Die stille, fast nostalgische Schönheit der Ensembles aus geöffneten Geschenken, Resten verzehrter Kekse oder leeren Bonbonpapieren wecken Sehnsüchte in uns. Es ist auch diese Lyrik des unwiederbringlichen Verlusts einer gewissen Situation, eines bestimmten Genusses am Rande der Banalität, die dieses Werk durchzieht.

Laura Letinsky im Gespräch mit The Great Discontent, Dezember 2017

The Photographer’s Gallery, London hat ein Interview mit Laura Letinsky gedreht, das während der Vorbereitungen zur Ausstellung Ill Form And Void Full (bis 7. April 2013) entstand.
 
Honeymoon Bombay, 2015, Seidenchiffon, 104 x 127 cm
Die Tücher aus der Serie Ecstatic, Even zeigen Fotografien, die die Künstlerin an verschiedenen Orten in Mumbai aufgenommen hat. Sie fotografierte unter anderem auf dem Blumenmarkt in Bangalore und in einem Hochzeitszelt am Tag nach der Festlichkeit.
Die Bilder wurden von der Künstlerin aus zahlreichen mit dem iPhone aufgenommenen Fotografien digital zusammengeschnitten - ein Vorgang, den Laura Letinsky selbst als “digitales Nähen” bezeichnet. Im Anschluss wurden die so entstandenen Bilder auf Seidenchiffon und Kaschmirwolle gedruckt.
Die montierten Bilder geben also nicht den ursprünglichen Zustand solcher Böden wieder. Vielmehr schafft die Künstlerin durch die fotografische Intervention, durch Bildausschnitt und Perspektive sowie die Bildbearbeitung neue Kompositionen. Dies geht aus den Werken nicht unmittelbar hervor. Auf den ersten Blick meint man die Untergründe zu sehen, wie sie die Künstlerin vorgefunden hat. Erst bei genauer Betrachtung lässt die ausgewogene Anordnung der Objekte die Collage erahnen.
Ill Form and Void Full #25, ca. 114,3 cm x 96,52
In ihren neuesten Arbeiten der Serie Ill Form and Void Full greift Letinsky nicht nur auf eigene Fotografien, sondern auch auf ein Repertoire an Gebrauchsmaterial zurück um ihre Tableaus zu konstruieren. Als Quelle dienen ihr Ausschnitte aus hoher und niedriger Bildkultur, die sie Zeitschriften wie Martha Stewart Living, Dwell, Good Housekeeping, Katalogen von Ikea und Roche Bobois, Penny-Flyern, ihren eigenen Arbeit-sprints und zufällig gefundenen Bildern entnimmt. Auf diese Weise entsteht ein Gefüge zwei- und dreidimensionaler Objekte vor sanft schattierten Farbflächen, die immer wieder eine räumliche Lesart anregen, sie aber zugleich widerlegen. Darüber hinaus hinterfragen die Fotografien der Serie „Ill Form and Void Full“ das Genre des Stilllebens als Ausdruck und Offenbarung des „Heims.“ Durch Laura Letinskys Umgang mit Raum, Licht und Farbe haftet den eigentlich vertrauten Szenen und Objekten in ihrer nun fotografisch gefassten Wirklichkeit etwas unheimliches an.
Untitled # 3, Fall, 2008
Fall - Ich dachte daran, dass die Bilder dieser Serie im Herbst gemacht sind und dass sie über den Herbst auch in einem tieferen Sinne sprechen, der in den kleinen Überbleibseln der Früchte die biblische Bedeutung von Unwissenheit und Glück sowie Wissen und Unglück erkennt."
Untitled #117, Hardly More Than Ever, 2007
“Der Titel Hardly More Than Ever ist ein Wortspiel aus Gertrude Steins Tender Buttons und anderen Schriften. Ich liebe ihre Art, die alltägliche Sprache aus dem erwarteten Gebrauch herauszulösen und sprachlichen Klang- und Assoziationsräumen das Erhabene und einen blassen, vielleicht ergrauten Schimmer von Offenbarung wieder zu geben. Der Titel ist verwandt mit der Phrase 'I love you more than ever', doch das Adjektiv 'hardly' lässt sich in zwei Richtungen lesen; es bedeutet sowohl ‘a little more than ever’ (ein bisschen mehr denn je), als auch 'not as much' (kaum mehr denn je). Die Konnotationen beider Bedeutungen sind jeweils sehr unterschiedlich."
Untitled # 16, To Say It Isn't So, 2007
To Say It Isn't So weckt in mir damit verwandte Assoziationen. Mit einem Komma, als 'To say it, isn't so' (sagen allein genügt nicht) weist darauf hin, dass Worte noch nicht zwangsläufig zu Taten führen – eine Sache, die ich meinem zehnjährigen Sohn immer wieder erneut erklären muss und das, obwohl ich zugleich sehr wohl weiss, dass die performative Äußerung, wie es in der Sprechakttheorie heißt, Zustände in der sozialen Welt grundlegend verändert einzig durch den Akt des Aussprechens.
Eine Menge meiner Erklärungen ist sehr suggestiv und spielt mit Sprache auf eine Weise, die, so hoffe, ich, in meinen Bildern und deren Referenzen zur Fotografie ähnlich present ist (als visuelle Sprache).”
Untitled # 14, The Dog and The Wolf, 2008


"Der Titel The Dog and the Wolf spielt auf verschiedene Assoziation an. Er ruft jene Stunde der Dämmerung wach, in der die Sonne zwar untergeht, aber noch genügend Licht spendet, um im eigentlichen Sinne der Dämmerung die schönsten Fotografien zu ermöglichen. Hier kommt die französische Metaphorik ins Spiel, die Stunden der Dämmerung zur magischen Zeit mit komischen wie unerklärlichen Ereignisse erklärt. Da ist auch die Parabel vom Hund und dem Wolf in ihrer Faszination für die zuverlässige Dressur des gut genährten Hunds und den wilden Zwang, der den dürren Wolf darin verhindert, der Einladung des Hunds in sein wohl behütetes Leben auf Kosten unbegrenzter Wolfsfreiheit beizuwohnen. Für mich ist das eine Parabel auf den Widerspruch zwischen einem Leben in Häuslichkeit und Pflicht einerseits und unbelassener, ursprünglicher Natur andererseits."
Untitled, Italy, 2009
Italy ist ein neues Projekt von Laura Letinsky, welches durch einen Auftrag in Rom entstand. Einen Monat lang hat sie im Frühjahr 2009 die Gelegenheit wahrgenommen, Esstische in eleganten, historischen römischen Palazzi zu inszenieren und zu fotografieren.