Ausstellungsinformationen
Antipoden
14. Mai - 17. Dezember 2022
Evelina Cajacob, Lucinda Devlin, Antje Dorn, Thomas Florschuetz, Lena von Goedeke, Marta Guisande, Franka Hörnschemeyer, François Perrodin, Tanya Poole, Arnulf Rainer, Dirk Reinartz, Richard Serra, Peter Wegner
Unter dem Titel Antipoden zeigt die Galerie m Kunstwerke von dreizehn KünstlerInnen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich, Frankreich und Amerika. Zwischen den Werken, die von kleinen Tuschelavuren, über monumentale Gemälde bis hin zu Fotografie, Film und Rauminstallation reichen, entsteht ein facettenreiches Gewebe, das sich sowohl thematisch mit dem Begriff der Antipoden beschäftigt, als auch formal, in den verwandten Techniken und Materialien, Antipoden innerhalb der künstlerischen Formulierungen in Bezug setzt.
Die Bronzefüße mit dem Titel We all fall to the center von Lena von Goedeke stehen still inmitten der Ausstellung, wie die Füße einer unsichtbaren Betrachterin. Im Frühjahr 2022 reiste die Künstlerin mit ihnen nach Spitzbergen, erhitzte sie im arktischen Eis und filmte, wie das heiße Metall langsam und beschwerlich in den Boden einsank. We all fall to the center umschreibt das, was Antipoden im ursprünglichen Sinne meint: Von griechisch anti "gegen" und poús "Fuß" lautet die wörtliche Übersetzung "Gegenfüßler" und beschreibt die durch das Erdinnere verlaufende Verbindung zweier sich auf der Erdkugel gegenüber liegender Punkte.
Lena von Goedekes Glasarbeiten der Serie Aggregate beziehen sich auf die Entnahme von Bohrkernen aus dem arktischen Eis und die Analyse der Schichten, die als „Klimaarchive“ den Zustand der Erde über Jahrtausende hinweg dokumentieren. Im Werkprozess hat die Künstlerin ihren Objekten Materialien zugefügt, die ihre Existenz ausmachen, wie Haare und Atem, und so ihre ganz eigenen Archive geschaffen.
Ins Eis, wenn auch nicht ins arktische, sondern ins alpine, entführt die Fotografie des Glacier Paradise von Lucinda Devlin aus der Serie Subterranea, die sich dem widmet, was unter der Erdoberfläche liegt und vom Menschen für verschiedene Zwecke erschlossen wurde. Von der Gletscherspalte bis hin zu unterirdischen Kultstätten in Kolumbien und Höhlen in den USA faszinieren Devlins Aufnahmen mit ihrer geheimnisvollen Atmosphäre und dem spannungsvollen Spiel von Licht und Schatten.
Mit einer gesteinsartigen Oberfläche scheinen wir es auch bei Arnulf Rainers Gemälde, 1994/96, zu tun zu haben. Der Künstler hat als Malgrund eine dicke Schicht aufgetragen, die mit splitterartigen Gesteinsfragmenten durchsetzt ist und mit heftigen, impulsiven Gesten lasierend mit Farbe bedeckt wurde. Die Oberfläche ist von tiefen Furchen und Kratzern verletzt, die mit ihren ausgefransten Rändern an klaffende Wunden erinnern.
Gegenüber von Rainers Gemälde liegt Intrusiva, ein Arm aus Bronze, überzogen von tiefschwarzer Patina. Auf der verletzlichen Innenseite sind Einschnitte und Risse erkennbar, bei denen es sich um Abdrücke vulkanischen Gesteins handelt. Die tiefe Position dieser Skulptur von Lena von Goedeke und ihre scheinbare Verletzung und Verletzlichkeit lassen an Wilhelm Lehmbrucks Gestürzten (1916) denken.
Im Hinblick auf das Einschneiden der Oberfläche finden die beide Arbeiten von Rainer und von Goedeke einen Antipoden in Peter Wegner Black Map II, 2012. Wegner hat die MDF-Platte absolut präzise und sauber mit einem Laser Cut bearbeitet. Das Netz aus Linien wirkt scharf, starr und zielgerichtet.
Ganz anders ist es bei Antje Dorns Loop (orange), 1997/2022. In sich geschlossen, verschlungen und verschränkt tritt die Linie hier als in seiner Farbigkeit leuchtender Gartenschlauch dem Betrachter entgegen. Der Blick folgt dem scheinbar willkürlichen Verlauf und trifft dabei auf Buchstaben und Lautmalereien – ein durch und durch dynamisches und gleichzeitig unbeschwert wirkendes Werk.
Diesem quirligen Gewusel steht François Perrodins 74.9, 2013, gegenüber, ein massives Malereiobjekt, dessen Form an ein Kreuz erinnert, aber doch keines ist, weil der Künstler es von einem Quadrat ausgehend entwickelte, dem an allen vier Ecken unterschiedlich große Teile entnommen wurden. Bringt man die Arbeiten von Perrodin und Dorn zusammen, so gibt man sich in der Betrachtung dem hin, was mit Antipoden auch gemeint ist: die spannungsvolle Verbindung zwischen eigentlich extrem Gegensätzlichem, die verblüffende Perspektiven eröffnet.
Ähnlich verhält es sich mit Peter Wegners Arbeit Mineral Logic XII aus dem transparenten Mineral Muskovit, die sich in ihrer filigranen Zartheit zwischen Richard Serras großformatiger Ölkreidezeichnung Garden Arc, 1986, und François Perrodins Wandobjekt behauptet;
oder der zwar monumentalen, aber in Relation zu Garden Arc federleicht anmutenden Tuschelavur The Night Guide, 2020, von Tanya Poole. François Perrodin nutzt in den Papierarbeiten der Serie Washes, 2020/2022, dieselbe Technik wie Poole, kommt jedoch zu einem radikal anderen Ergebnis. Während The Night Guide insbesondere dadurch fasziniert, dass die Künstlerin den Zufall der ihrem natürlichen Verlauf folgenden Farbe meisterhaft in ihren Werkprozess eingebunden hat, ist es fast unvorstellbar, wie es Perrodin gelingt, in der freihändigen Ausführung der streng geometrischen Formen eine solche Klarheit und Präzision zu erzielen.
So ergeben sich innerhalb der Ausstellung laufend neue Bezüge, sei es das verwendete Material, die angewandte Technik oder die Thematik, die die Arbeiten vertiefen. Der Blick ist dabei nicht systematisch-rational, sondern intuitiv suchend, wird irritiert, immer wieder auch befremdet und doch hineingezogen in das Gespinst der Gegensätze.
An den Aspekt der Transparenz, der sich in den Papierarbeiten Tanya Pooles und François Perrodins auf so unterschiedliche Weise zeigt, knüpft Thomas Florschuetz‘ frühe Fotografie ohne Titel (Plexus V), 1993, an. Der Künstler hat hier eine Nahaufnahme seiner durchleuchteten Hand gemacht, die im Rahmen eines ganzen Werkkomplexes von Körperbildern verstanden werden muss, in der auch die Fragen nach Selbstvergewisserung und -verortung eine Rolle spielen.
Dies führt auch zur prozessualen Werkentstehung und Spurensuche, wie sie in Marta Guisandes Malerei zum Tragen kommt. Die Künstlerin beschichtet ihre Leinwände von vorne, von hinten, kratzt die Farbe wieder ab, reibt sie ein, schneidet die Leinwand unter Umständen auseinander und gibt sich so lange dem Arbeitsprozess hin, bis sie sicher ist, dass das Gemälde fertig ist.
Evelina Cajacobs Zeichnung WinterStoff 225, 2021/22, scheint sinnbildlich dafür zu stehen, wie die Dinge miteinander verwoben sind, wie ein Knäuel, ein Knoten, der platzen kann oder auch nicht. Da tut sich ein Faden auf, hinüber zu Antje Dorns Loop und zu Franka Hörnschemeyers Transponder 121. Hier haben wir das Oben und Unten, dabei ebenso ein geschlossenes System, das sich insgesamt im Gleichgewicht hält und im Schwebezustand. Die Neigung der Holzkörper in der Luft wirkt so, als flögen sie durch Raum und Zeit. Man umrundet und erkundet die Installation und trifft dabei auf Fragen, die einen erneut weiterführen, zu wieder anderen Werken, die als gleichsam anziehende und abstoßende Pole darauf warten, erkundet zu werden.
Evelina Cajacob, Lucinda Devlin, Antje Dorn, Thomas Florschuetz, Lena von Goedeke, Marta Guisande, Franka Hörnschemeyer, François Perrodin, Tanya Poole, Arnulf Rainer, Dirk Reinartz, Richard Serra, Peter Wegner
Unter dem Titel Antipoden zeigt die Galerie m Kunstwerke von dreizehn KünstlerInnen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich, Frankreich und Amerika. Zwischen den Werken, die von kleinen Tuschelavuren, über monumentale Gemälde bis hin zu Fotografie, Film und Rauminstallation reichen, entsteht ein facettenreiches Gewebe, das sich sowohl thematisch mit dem Begriff der Antipoden beschäftigt, als auch formal, in den verwandten Techniken und Materialien, Antipoden innerhalb der künstlerischen Formulierungen in Bezug setzt.
Die Bronzefüße mit dem Titel We all fall to the center von Lena von Goedeke stehen still inmitten der Ausstellung, wie die Füße einer unsichtbaren Betrachterin. Im Frühjahr 2022 reiste die Künstlerin mit ihnen nach Spitzbergen, erhitzte sie im arktischen Eis und filmte, wie das heiße Metall langsam und beschwerlich in den Boden einsank. We all fall to the center umschreibt das, was Antipoden im ursprünglichen Sinne meint: Von griechisch anti "gegen" und poús "Fuß" lautet die wörtliche Übersetzung "Gegenfüßler" und beschreibt die durch das Erdinnere verlaufende Verbindung zweier sich auf der Erdkugel gegenüber liegender Punkte.
Lena von Goedekes Glasarbeiten der Serie Aggregate beziehen sich auf die Entnahme von Bohrkernen aus dem arktischen Eis und die Analyse der Schichten, die als „Klimaarchive“ den Zustand der Erde über Jahrtausende hinweg dokumentieren. Im Werkprozess hat die Künstlerin ihren Objekten Materialien zugefügt, die ihre Existenz ausmachen, wie Haare und Atem, und so ihre ganz eigenen Archive geschaffen.
Ins Eis, wenn auch nicht ins arktische, sondern ins alpine, entführt die Fotografie des Glacier Paradise von Lucinda Devlin aus der Serie Subterranea, die sich dem widmet, was unter der Erdoberfläche liegt und vom Menschen für verschiedene Zwecke erschlossen wurde. Von der Gletscherspalte bis hin zu unterirdischen Kultstätten in Kolumbien und Höhlen in den USA faszinieren Devlins Aufnahmen mit ihrer geheimnisvollen Atmosphäre und dem spannungsvollen Spiel von Licht und Schatten.
Mit einer gesteinsartigen Oberfläche scheinen wir es auch bei Arnulf Rainers Gemälde, 1994/96, zu tun zu haben. Der Künstler hat als Malgrund eine dicke Schicht aufgetragen, die mit splitterartigen Gesteinsfragmenten durchsetzt ist und mit heftigen, impulsiven Gesten lasierend mit Farbe bedeckt wurde. Die Oberfläche ist von tiefen Furchen und Kratzern verletzt, die mit ihren ausgefransten Rändern an klaffende Wunden erinnern.
Gegenüber von Rainers Gemälde liegt Intrusiva, ein Arm aus Bronze, überzogen von tiefschwarzer Patina. Auf der verletzlichen Innenseite sind Einschnitte und Risse erkennbar, bei denen es sich um Abdrücke vulkanischen Gesteins handelt. Die tiefe Position dieser Skulptur von Lena von Goedeke und ihre scheinbare Verletzung und Verletzlichkeit lassen an Wilhelm Lehmbrucks Gestürzten (1916) denken.
Im Hinblick auf das Einschneiden der Oberfläche finden die beide Arbeiten von Rainer und von Goedeke einen Antipoden in Peter Wegner Black Map II, 2012. Wegner hat die MDF-Platte absolut präzise und sauber mit einem Laser Cut bearbeitet. Das Netz aus Linien wirkt scharf, starr und zielgerichtet.
Ganz anders ist es bei Antje Dorns Loop (orange), 1997/2022. In sich geschlossen, verschlungen und verschränkt tritt die Linie hier als in seiner Farbigkeit leuchtender Gartenschlauch dem Betrachter entgegen. Der Blick folgt dem scheinbar willkürlichen Verlauf und trifft dabei auf Buchstaben und Lautmalereien – ein durch und durch dynamisches und gleichzeitig unbeschwert wirkendes Werk.
Diesem quirligen Gewusel steht François Perrodins 74.9, 2013, gegenüber, ein massives Malereiobjekt, dessen Form an ein Kreuz erinnert, aber doch keines ist, weil der Künstler es von einem Quadrat ausgehend entwickelte, dem an allen vier Ecken unterschiedlich große Teile entnommen wurden. Bringt man die Arbeiten von Perrodin und Dorn zusammen, so gibt man sich in der Betrachtung dem hin, was mit Antipoden auch gemeint ist: die spannungsvolle Verbindung zwischen eigentlich extrem Gegensätzlichem, die verblüffende Perspektiven eröffnet.
Ähnlich verhält es sich mit Peter Wegners Arbeit Mineral Logic XII aus dem transparenten Mineral Muskovit, die sich in ihrer filigranen Zartheit zwischen Richard Serras großformatiger Ölkreidezeichnung Garden Arc, 1986, und François Perrodins Wandobjekt behauptet;
oder der zwar monumentalen, aber in Relation zu Garden Arc federleicht anmutenden Tuschelavur The Night Guide, 2020, von Tanya Poole. François Perrodin nutzt in den Papierarbeiten der Serie Washes, 2020/2022, dieselbe Technik wie Poole, kommt jedoch zu einem radikal anderen Ergebnis. Während The Night Guide insbesondere dadurch fasziniert, dass die Künstlerin den Zufall der ihrem natürlichen Verlauf folgenden Farbe meisterhaft in ihren Werkprozess eingebunden hat, ist es fast unvorstellbar, wie es Perrodin gelingt, in der freihändigen Ausführung der streng geometrischen Formen eine solche Klarheit und Präzision zu erzielen.
So ergeben sich innerhalb der Ausstellung laufend neue Bezüge, sei es das verwendete Material, die angewandte Technik oder die Thematik, die die Arbeiten vertiefen. Der Blick ist dabei nicht systematisch-rational, sondern intuitiv suchend, wird irritiert, immer wieder auch befremdet und doch hineingezogen in das Gespinst der Gegensätze.
An den Aspekt der Transparenz, der sich in den Papierarbeiten Tanya Pooles und François Perrodins auf so unterschiedliche Weise zeigt, knüpft Thomas Florschuetz‘ frühe Fotografie ohne Titel (Plexus V), 1993, an. Der Künstler hat hier eine Nahaufnahme seiner durchleuchteten Hand gemacht, die im Rahmen eines ganzen Werkkomplexes von Körperbildern verstanden werden muss, in der auch die Fragen nach Selbstvergewisserung und -verortung eine Rolle spielen.
Dies führt auch zur prozessualen Werkentstehung und Spurensuche, wie sie in Marta Guisandes Malerei zum Tragen kommt. Die Künstlerin beschichtet ihre Leinwände von vorne, von hinten, kratzt die Farbe wieder ab, reibt sie ein, schneidet die Leinwand unter Umständen auseinander und gibt sich so lange dem Arbeitsprozess hin, bis sie sicher ist, dass das Gemälde fertig ist.
Evelina Cajacobs Zeichnung WinterStoff 225, 2021/22, scheint sinnbildlich dafür zu stehen, wie die Dinge miteinander verwoben sind, wie ein Knäuel, ein Knoten, der platzen kann oder auch nicht. Da tut sich ein Faden auf, hinüber zu Antje Dorns Loop und zu Franka Hörnschemeyers Transponder 121. Hier haben wir das Oben und Unten, dabei ebenso ein geschlossenes System, das sich insgesamt im Gleichgewicht hält und im Schwebezustand. Die Neigung der Holzkörper in der Luft wirkt so, als flögen sie durch Raum und Zeit. Man umrundet und erkundet die Installation und trifft dabei auf Fragen, die einen erneut weiterführen, zu wieder anderen Werken, die als gleichsam anziehende und abstoßende Pole darauf warten, erkundet zu werden.